Description
EDITORIAL (in German)Die Breitenwirkung der historischen Videokunst und der aktuellen Videokulturen stellt nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern auch für die visuelle Kultur im weitesten Sinne eine spannende Perspektive dar, die sich bestens für kritische, historische sowie aktuelle Beiträge eignet. Video galt historisch als emanzipatorisches Medium, als (selbst-)reflexives Medium, als ökologisches Medium (Paul Ryan). Es galt zudem als ein Medium, das oft am Ursprung dessen stand, was heute in der ‚temporär autonomen Zone‘ zwischen Kunst und Aktivismus seine Wirksamkeit entfaltet und nach wie vor zwischen Semiotik (‚Videosemiotik‘ von Takahiko Iimura) und Realpolitik (Closed-Circuit-Systeme, Überwachungsszenarien, ‚Cloaking Devices‘) operiert. Video gilt neben den heutigen Tagging-Techniken nach wie vor als das Überwachungsmedium par excellence, das sich ebenso gut für die Repräsentationskritik eignet wie es im Performativitätsdiskurs (Videotanz, Videotheater) eine prominente Stellung einnimmt. Sein prozessualer und dennoch auf das hic et nunc zusteuernder Charakter und seine historische sowie aktuelle Rolle in der Entwicklung von Videospielen machen die kulturelle Tragweite dieses ersten analogen audiovisuellen Mediums besonders deutlich. Video gehört deshalb in seinen heutigen digitalen Erscheinungsformen sicherlich zu den dominanten Kulturtechniken: Videokameramodule werden längst in alle denkbaren technischen Geräte eingebaut, die wir täglich benutzen. Das Medium Video lässt sich heute daher kaum noch als ein spezifisches Medium begreifen, denn inzwischen taucht es fast immer im Rahmen eines Medienverbundes, als Teil einer technischen und kulturellen Vorrichtung auf. Die bekannten historischen Abgrenzungsversuche zwischen Film und Video sowie zwischen Video und Computer lassen sich genetisch auch durch den Umstand erklären, dass die Videokunst ungefähr um die gleiche Zeit ihren ‚Durchbruch‘ hatte wie die Theorien der Postmoderne ihn hatten. Dem Video gelang es in diesem Kontext, die alten visuellen Klischees zu dekonstruieren, aber auch neue zu kreieren. Der heute aus der Kunst kaum wegzudenkende Teilbereich der Videoinstallation und der mit ihm verwandte Bereich Videoband und Videoperformance verdeutlichen die Relevanz des Mediums Video gleichwohl im Bereich der künstlerischen Konkretion.
Das Medium Video wurde weiterhin als „a sound technology rather than as an image technology“ definiert. Dieser medientechnisch durchaus zulässige Befund ist auch insofern interessant, als er einerseits das betreffende Medium als Teil einer kontinuierlichen historischen Entwicklung von Repräsentationsmodi zeigt und andererseits seine einmalige Eigenschaft, ein synästhetisches, audiovisuelles Erlebnis in Realzeit zu erzeugen, also einen Realitätseindruck, der beispielsweise im analogen und digitalen Film nur simuliert werden kann.
Es ist jedoch erst das Zusammentreffen und Rückkoppeln von medial repräsentierter Realität und ihrem ‚Subjekt‘, das der ‚Präsenzfiktion‘ zumindest eine distinkte epistemologische Qualität verleiht. Dejan Sretenovic beschrieb in prägnanter Weise diese, über die Bildlichkeit hinausgehende Qualität des Videos:
„[…]Technisch gesehen, bleibt das Video ‚Video Signal‘, und zwar unabhängig davon, ob es analog oder digital ist, aber seine Emanzipation als neues technisches Medium hat gezeigt, dass das Medium Video zusammen mit all seinen historischen Oszillationen und Transformationen ein komplexes System der Mediation darstellt, das nicht nur auf die visuelle Domäne reduziert werden kann.“
Aus der heutigen Perspektive dürfen wir also feststellen, dass Video nicht nur den Prozess des Sehens oder der Visualisierung bezeichnet, sondern eher dass es vollständig die Bedeutungsvielfalt seiner ursprünglichen lateinischen Etymologie erfüllt: Die Elemente der Kognition, der Erfahrung und der Aktion gehören unbedingt dazu.
Die Beziehungen zwischen Kunst, Technologie und der Identität können dem oben zitierten Autor zufolge wohl in keinem anderen analogen Medium derart konsistent und in einem kritischen Bewusstsein untersucht werden, wie im Fall des Videos:
„Noch lange vor dem Erscheinen der digitalen Multimedia repräsentierte das Video eine Art der Multimedia der analogen Technologie, die Sublimierung aller Apparaturen der maschinellen Vision. Gleichzeitig gehörte es von Anfang an – per definitionem – dem Kunstsystem an, in dem es jedoch nie vollständig integriert werden konnte. So entwickelte das Video seine eigene Mythologie und Epistemologie, seine eigenen Wege der Medientransformation und künstlerischen Kontextualisierung. In diesem Prozess zeigte das Medium seine spezifische Fähigkeit, dominante Codes der Repräsentation zu fördern oder zu negieren und sich zwischen den Polen der kritischen und konformistischen Reflexion zu positionieren.“
Abgesehen von seiner kunsthistorischen, ästhetischen und medientheoretischen Bedeutung stehen wir aktuell auch vor der Aufgabe, die (inter-)kulturelle Rolle des Mediums Video neu zu definieren. Denn weder als „Konsole experimenteller Medienkunst“ noch als „Lieferservice des virtuellen Geschlechtsverkehrs“, weder als „Archiv individueller Biographien“ noch als „Kinematograph des Amateurs“ (Godard) lässt sich Video adäquat beschreiben – es bleibt nach wie vor mehr als die Summe seiner möglichen Attribute. Als Mirror Machine ist das Video nicht bloß ein Medium, das selbstgenerierende visuelle Rahmen rückkopplungstechnisch erzeugen kann. Als Medium des spekulativen Sehens bleibt es ein Medium, das auch seine Diskursrahmen stets vor- und rückkoppelt und diese damit neu generiert.
Editors of eva:
Marcel Odenbach
(Professor for Film and Video at the Art Academy Dusseldorf, Germany)
Yvonne Spielmann
(Research Professor for New Media at the University of the West of Scotland)
Slavko Kacunko
(Professor for Art History and Visual Culture at the University of Copenhagen, Denmark)
1 John Belton, Looking Through Video: The Psychology of Video and Film. In:
Michael Renov / Erika Suderburg (Hrg.), Resolutions: Contemporary Video Practices. Minneapolis 1997, 61.
2 Dejan Sretenovic, Text zur Video Art in Serbien (1999; Englisch, deutsche Übersetzung S.K.). Zuvor zitiert in: Slavko Kacunko, Closed Circuit Videoinstallationen. Ein Leitfaden zur Geschichte und Theorie der Medienkunst mit Bausteinen eines Künstlerlexikons. Berlin 2004, 333-334. – Die ursprüngliche Online-Stelle (http://www.dijafragma.com/projects/videoartins.html) ist nicht mehr verfügbar, dafür etwa unter http://documents.stanford.edu/67/590 erreichbar. Letzter Zugriff 28.12.2011.
3 Lat. video, vidi, visum. 1) see, notice, recognize 2) live at the same time as somebody, experience 3) observe, consider, visit, take care of something 4) feel, understand, comprehend, have in mind, consider, think 5) know, deal with, intend, aim. Vgl. Anm. 2.
4 Wie Anm. 2
5 Vgl. Ralf Adelmann / Hilde Hoffmann / Ralf F. Nohr (Hrg.), REC – Video als mediales Phänomen. Weimar 2002.
Period | 2012 → 2032 |
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Type of journal | Book series |